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N e w s F o r u m P r e s s I n f o T H E O R I E L I N K S H O W - T O |
T H E O R I E< Back   von
Robert Eder Eindrucksvoll führen uns
Evamaria Trischak und Nina Achathaller mit ihren Projekt 4816 vor, welch
wunderbarer Fundus die militärische Technologie für den zivilen Gebrauch ist:
Die GPS-Technologie und das Internet als Novum Organum der Erkenntnis. Dabei ist dieses Entlehnen des
Signifikanten aus dem Militärischen, und die damit verbundene semantische
Verschiebung, ein häufiges Phänomen, welches nicht erst durch die Avantgarde
bekannt wurde, denn selbst die Situation
entspringt dem Sprachgebrauch der Krieger.
Und letztere steht auch im Zentrum des Projekts 4816. Obwohl das offizielles
Ziel in der Erfassung der 182 Minutenkreuzungspunkte des GPS-Koordinatensystems
in Wien liegt, birgt dieses Projekt doch einiges mehr in sich. Denn dieses
Erfassen nicht sichtbare Punkte im öffentlichen Raum verbindet sowohl
geografische, wie psychologische Sichtweisen miteinander. Eine solche Verbindung hatten
in den späten 1950iger Jahren die Internationalen Lettristen praktiziert und ihr auch einen Namen gegeben. Diese
Untersuchung der Verbindung von Raum, Zeit und Stimmung wurde Psychogeographie bezeichnet und hat sich aus dem Umherschweifen (dérive) entwickelt, einer Methode der Erforschung der
Gesetzmäßigkeiten und Wirkungen bestimmter geographischer Milieus. Dadurch
unterscheidet sich überdies das dérive vom Flanieren des 19. Jahrhunderts und
dem Sich-Treiben-Lassen, welches die Surrealisten praktizieren. Die
psychogeographische Forschungsgruppen der Lettristen verlassen sodann auch ihr
Pariser Ursprungsviertel St. Germain-des-Prés und schweifen umher. Ein bekanntes Viertel nach den
Stationen zu durchqueren, die weißen Rum ausschenkten, um aus dieser
Perspektive die Straßen zu peilen und das Verhalten der Ortsansässigen zu bestimmen,
das konnte die Parole des Tages sein.[1]
Und genauso kann es das Ziel von 4816 sein, die Stadt Wien und das Verhalten
seiner Bewohner aus dieser neuen Perspektive zu entdecken. Schon allein dieser neuen
Perspektive wegen, weckt das Projekt bei mir erkenntnistheoretisches Interesse,
darüber hinaus schafft die Einbindung von GPS jedoch noch eine weiter
Verbindung: Die Verbindung von Stadt und Text. Denn der Text als syntaktische
und grammatische Ordnung bedingt eindeutige Differenzierung, welche dem
rationalen Denken und der Ordnung entgegenkommt. Das Ordnen wiederum ist die
Tätigkeit des Denkens und deshalb scheint dem Menschen das Grenzziehen immanent
zu sein. GPS hilft uns dabei, denn es versteht den Raum als binären Code: On
Off. Wie schaut es jedoch aus mit den Freiräumen, den Räumen zwischen den
Grenzen? So wie die Psychoanalyse sich gerade mit den Räumen zwischen den
Worten und den Lauten beschäftigt, beschäftigt sich ein großer Teil der
Sozialwissenschaft mit den Freiräumen zwischen den Grenzen. Jedoch was und wo
sind diese Freiräume? Ein binäres,
somit logisches, der Vernunft entsprechendes, System, darf keine Freiräume
lassen, denn damit steigt die Gefahr des Errors und in Folge auch der Absturzes
des gesamten Systems, jedoch gibt es virtuelle Freiräume, zur Stillung dieser
Bedürfnisse. Genauso sorgt das Gesellschaftssystem für künstliche Freiräume und
dadurch gelten für Menschen im urbanen Raum Parkanlagen als Freiräume. Wobei
ein Park nicht wirklich als Freiraum fungieren kann. So besagt eine Studie der
Sozialakademie Wien, dass mindestens æ der gesamten Lebenszeit eines Menschen
vorwiegend in freizeitbezogenen Lebensraum von Wohnung und Wohnumfeld
verbracht[2]
wird und damit vor allem auch in den Parkanlagen der Gemeinde Wien. Jedoch soll
freizeitbezogen nicht über die soziale Funktion des gemeinsamen Lebensraum
hinwegtäuschen. Der öffentliche Raum ist neben seiner Funktion als Verkehrsweg
zwischen den privaten Räumen, auch der Raum, der als Kommunikationsraum und
Sozialraum dient. Durch den kapitalistischen Vergesellschaftungsprozess wurden
weitgehend die nachbarschaftlichen Kommunikationsstrukturen zerstört,
insbesondere die kommunikative Funktion der Strasse ging verloren. Stattdessen
wurden in einer normierten Form Räume installiert, die zur Kommunikation,
Freizeit und Erholung dienen sollen. Alles in allem
verstehen wir darunter künstlich angelegte und zu einem bestimmten Zweck
installierte eingezäunte Räume. Schon aus dieser Bedeutung ist es verständlich,
dass der Park mit dem Freiraum divergiert, denn ein Freiraum impliziert
Zweckfreiheit. Hinter der Einteilung von Räumen nach Zwecken und innerhalb
einer Struktur, steckt eine Versuch, die Politik unter durchsichtige rationale
Regeln zu stellen. Aus dieser Überlegung heraus beschreibt Sloterdijk die
zunehmende Rationalisierung der Lebensräume des Menschen seit der griechischen
Antike so: Seit dem Politikos und seit der Politeia sind Reden in der Welt, die von der Menschengemeinschaft sprechen
wie von einem zoologischen Park, der zugleich ein Themen-Park ist; die
Menschenhaltung in Parks oder Städten erscheint von jetzt an als zoopolitische
Aufgabe. Was sich als Nachdenken über Politik präsentiert, ist in Wahrheit eine
Grundlagenreflexion über Regeln für den Betrieb von Menschenparks.[3] Die Besonderheit
daran ist, dass der Mensch, im Gegensatz zu Tier, welches gehalten wird, sich
selbst hält. Menschen sind selbsthegende, selbsthütende Wesen, die wo auch
immer sie leben einen Parkraum um sich erzeugen. In Stadtparks, Nationalparks,
Kantonalparks, Ökoparks überall müssen Menschen sich eine Meinung darüber
bilden, wie ihre Selbsthaltung zu regeln sei.[4]
Geregelt wird seit der Aufklärung in der Form der Disziplin und diese
organisiert zunächst die Verteilung der Individuen im Raum.[5]
Daraus ergeben sich mehrere Techniken. Zunächst erfolgt sie in der Form von
baulichen Abschließungen, die Klausur und daraus ergibt sich die Parzellierung,
nach dem Prinzip der elementaren Lokalisierung. Jedem Individuum seinen Platz
und auf jeden Platz ein Individuum.[6]
Für unser Thema ist anknüpfend die folgende Technik eine entscheidende. Michel
Foucault hat sie in seiner Arbeit über die Geburt des Gefängnisses
herausgearbeitete, die Zuweisung von Funktionsstellen. Die Räume werden codiert und die genaue Festlegung von Plätzen
entspricht nicht nur der Notwendigkeit der Überwachung und der Unterbrechung
von gefährlichen Verbindungen, sondern auch der Schaffung eines nutzbaren
Raumes.[7]
Die Parks haben
also den Code Menschen einen Frei(zeit)raum zu bieten. Wobei der Park auch noch
über Sub-Codes verfügt, so wird z.B. der Bereich zum Ballspielen fast immer von
einem oft versperrbaren Käfig umzäunt ist. Aber auch Kinderspielplatz,
Hundeklos, Grünflächen werden immer von einander getrennt. Das Projekt 4816 birgt gerade
durch seine logische Struktur eine Möglichkeit der Auflösung der strukturellen
Codierung von Räumen und schafft eine neue Art den urbanen Raum als Freiraum zu
erfahren. Die GPS Punkte sind somit der Form nach Produkt eines logischen
Systems, aber sie bilden, wegen ihres arbiträren Charakters, die Möglichkeit
jeden Punkt semantisch zu besetzen. So gesehen eine negative Version Adams, der
als erster Mensch die Möglichkeit hatte, jeden Ding Namen zu geben. 4816 gibt
uns die Möglichkeit jeden Punkt einen Raum, ein Gefühl und eine Situation
zuzuordnen. Das vernünftige Sprach-System GPS wird für den Menschen erst
lesbar, wenn er es mit Inhalt füllt. Somit finden wir die Möglichkeit auf Basis
der Vernunft Freiräume zu produzieren, welches auch die Intention der
Lettristen und späteren Situationisten war. Die Situationisten verstanden
ihre Intentionen weder irrational, noch konservativ. Vielmehr warfen sie dem
Surrealismus Irrationalität vor und distanzierten sich deshalb von diesem: Wir
müssen weitergehen und mehr Rationalität in die Welt bringen das ist die
Vorbedingung, um in ihr die Leidenschaft zu entzünden.[8]
In dieser Hinsicht kann ihr Versuch einer revolutionären Veränderung der
Lebenssituation, basierend auf individueller Freiheit und Vernunft, durchaus in
der Tradition der Aufklärung gesehen werden. Dennoch unterschieden sich ihre
Intentionen auffallend vom vorherrschenden, durch den deutschen Idealismus
determinierten, Aufklärungsbegriff. Dieser Unterschied manifestiert sich im
Verständnis von Fortschritt. Auf der Ebene der individuellen Lebensweise
gründet sich eine situationistische Aktion nicht auf den abstrakten Gedanken
des rationalistischen Fortschritts um nach Descartes zu Herrn und Besitzern
der Natur zu werden sondern auf die praktische Gestaltung des Milieus, das
uns konditioniert.[9] Die hier
beschriebene Kritik richtet sich nicht gegen den Fortschritt an sich, sondern
gegen die Abstraktheit, in der er uns herkömmlich erscheint. Es ist dieselbe
Kritik, wie sie schon Adorno und Horkheimer am Begriff der Aufklärung übten.
Der Kern ihrer Kritik zielte auf den Formalismus der Vernunft schlechthin, wie
dieser am reinsten bei Kant entwickelt wurde und seither die Aufklärung
bestimmte. Sie erkannten die Gleichgültigkeit der Vernunft gegenüber jeglichem
bestimmten Inhalt und der damit gesetzten Unterwerfung des Stoffs unter die
Form. Die formalistische Vernunft enthüllt sich also als herrschaftliches
Prinzip und somit als das Gegenteil von Emanzipation. Diese Einsicht Horkheimers und
Adornos endet zwingend im Pessimismus und in der Resignation, da selbst die
dunklen Schriftsteller nur die Rückseite der Aufklärung darstellen. Die
Unmöglichkeit, aus der Vernunft ein Grundsätzliches Argument gegen den Mord
vorzubringen, nicht vertuscht, sondern in alle Welt geschrieen zu haben, hat
den Haß entzündet, mit dem gerade die Progressiven Sade und Nietzsche heute
noch verfolgen.[10] Besonders deutlich wird dies am
Kantschen Gebot der Apathie, wonach der Mensch sich auf keinen Fall von seinen
Gefühlen, Neigungen und Empfindungen leiten lassen dürfe, sondern einzig und
allein dem Sittengesetz zu folgen habe, also dem abstrakten,
transzendentalen, von jeder Sittlichkeit gereinigten Formprinzip, der obersten
Maxime der praktischen Vernunft. Und genau in dieser Pflicht der Apathie trifft
sich Kant mit de Sade und Nietzsche, wie für letzteren das Mitleid schädlicher
als irgendein Laster[11]
ist. Was in dieser Konzeption, basierend auf der formalen Vernunft, angelegt
ist, erkennen wir als den höchst modernen Ausdruck des kapitalistischen
Konkurrenzsubjekts, welches den anderen Menschen nur mehr als Konkurrenten
wahrnimmt. Und das gerade die formale Vernunft hat dieser entfesselten Dynamik
von Gewalt, Destruktivität und Inhumanität nichts entgegenzusetzen, denn sie
ist ihr inhärent. Die Situationisten teilen diesen Pessimismus nicht, denn sie
gehen von der Möglichkeit aus, die Grenzen der Gesellschaft des Spektakels zu
durchbrechen. Sosehr ihre Ansätze der Gesellschaftsanalyse denen der
Frankfurter Schule auch gleichen, unterscheiden sie sich in dieser Hinsicht
fundamental. Und wenn die neuen Technologien
gerade durch ihren rationalen Charakter und ihren logischen Aufbau
Möglichkeiten bilden, Vernunft und Bedürfnis wieder miteinander in Einklang zu
bringen, dann sehe ich den situationistischen Optimismus als bestätigt.
Vielleicht ist 4816 ein Teil dieser revolutionären und
gesellschaftsverändernden Intention. [1] Roberto Ohrt, Phantom Avantgarde,
Hamburg 1990 ; S. 75 [2] Vgl. Heinz
Wilfing (Hg.), Konturen der Sozialarbeit, Ein Beitrag zu Identität und
Professionalisierung der Sozialarbeit; Ergebnisse eines Symposiums zu 75 Jahren
Akademie für Sozialarbeit der Stadt Wien; Wien 1995; S. 145 [3] Peter
Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark; Ein Antwortbrief zu Heideggers Brief
über den Humanismus; Frankfurt am Main 1999; S. 48 [4] ebenda; S.
48f. [5] Vgl. Michel
Foucault, Überwachung und Strafen; Die Geburt des Gefängnisses; Frankfurt am
Main 1976; S. 181 [6] ebenda, S.
183 [7] ebenda, S.
184 [8] Guy Debord, Rapport über die
Konstruktion von Situationen und Organisations- und Aktionsbedingungen der
internationalen situationistischen Tendenz; aus: Roberto Ohrt (Hrsg.), Der
Beginn einer Epoche; Hamburg 1995; 31 [9] S.I., Der Sinn im Absterben der Kunst;
aus: Roberto Ohrt (Hrsg.), Der Beginn einer Epoche; Hamburg 1995; S. 72 [10] Max
Horkheimer, Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1971; S. 107 [11] Friedrich
Nietzsche, Umwertung aller Werte, Frankfurt am Main 1996 |